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gesichert betrachtet werden, wenn die ausgemessene Scheibe relativ zu einem (gra-
vitationsfeld-freien) Inertialsystem K in Ruhe ist.
Macht ein mit der vorhin betrachteten Kreisscheibe mitbewegter Beobachter den
entsprechenden Versuch, so behaupten wir, dass das Verhältnis der entsprechen-
den beiden Messresultate grösser als π wird. Man zeigt dies, indem man wieder den
ganzen Vorgang von dem nicht mitbewegten Koordinatensystem K aus betrachtet.
Von K aus beurteilt ist nämlich der auf der rotierenden Scheibe an der Peripherie
tangential angelegte Massstab wegen seiner Längs-Bewegung verkürzt (Lorentz-
verkürzung), der radial angelegte Massstab aber nicht verkürzt. Nach dem Gesetz
der Lorentz-Kontraktion ergibt sich hier
,
wenn v die Umfangsgeschwindigkeit der Scheibe am Rande bedeutet.
Hieraus ist ersichtlich, dass auf der rotierenden Scheibe, also nach der Aequiva-
lenzhypothese auch in einem Gravitationsfelde für die relative Lagerung starrer
Stäbe nicht die Gesetze der euklidischen Geometrie
gelten.[48] Es ist also im spezi-
ellen auch unmöglich, dem kartesischen Koordinatensystem in der allgemeinen
Relativitätstheorie einen physikalischen Sinn zu geben. Denn es wird unmöglich
sein, aus lauter gleichen Stäben ein kubisches Gitter zu konstruieren. Wir stehen
daher vor der neuen Schwierigkeit, dass mittelst starrer Stäbe und Uhren nicht wie
in der speziellen Relativitätstheorie die räumlichen und zeitlichen Koordinaten
physikalisch zu definieren sind. Wir stehen also vor der schwierigen Frage: Was
soll in der allgemeinen Relativitätstheorie an die Stelle des kartesischen Koordina-
tensystems und der mittelst Uhren und Lichtsignalen definierten Zeit der speziellen
Relativitätstheorie treten?
(20) GaussÊsche Koordinaten. RiemannÊsche Geometrie. Das hier auftretende Pro-
blem haben auf dem Gebiete der Geometrie Gauss und Riemann gelöst, wie im
Folgenden gezeigt werden
soll.[49]
Als axiomatische Wissenschaft aufgefasst hat die euklidische Geometrie mit
den Gegenständen der Erfahrung zunächst nichts zu schaffen. Ihre Sätze sind Fol-
gerungen aus den sogenannten Axiomen, sind also prinzipiell betrachtet, im letzte-
ren bereits enthalten. Die Axiome aber scheinen sich auf blosse Gedankendinge zu
beziehen, die mit den Gegenständen der Erfahrung nichts zu thun haben.
Die im systematischen Interesse erfolgte Loslösung der geometrischen Grund-
begriffe (Gerade, Strecke etc) von den Gegenständen der Erfahrung, deren abstrak-
te Abbilder sie sind, darf uns aber nicht darüber täuschen, dass die Geometrie im
letzten Grunde dazu da ist, uns über das Verhalten der Erfahrungsdinge zu beleh-
U
D
--- -
U
D
--- -
π
1
v2
c2
---- –
----------------- =
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