374 DOCUMENT 327 DECEMBER 1911 wird gegenüber den Gesetzen für "sehr verdünnten" Lösungen kein Fort- schritt erzielt. Ausserdem ist zu bemerken, dass Van Laars Interessensphäre eine gar zu eng begrenzte zu sein scheint, sodass zu befürchten wäre, dass Eure Studen- ten in das doch unbedingt etwas ausgefahrene Geleise der klassischen Ther- modynamik gedrängt würden. Aus diesen Gründen würde ich diesen übrigens klar denkenden und scharfsinnigen Mann nicht zum Lehrer der theoretischen Physik an einer Universität machen. Es bleiben noch Debye und Keesom übrig, vor deren beider wissenschaft- lichen Qualitäten ich hohe Achtung habe. Von Keesoms Publikationen hat hauptsächlich der Enzyklopädie-artikel[5] Eindruck auf mich gemacht. Es ist das mehr als ein blosses Referat. Es zeigt sich überall ein scharfer Blick für das Wichtige und Interessante, ferner eine grosse Klarheit und wohlthuende Anschaulichkeit des Denkens. Ich glaube sicher, dass von diesem Manne noch viele Gedanken und Anregungen zu er- warten sind, sodass bei seiner Wahl keineswegs-wie etwa bei Van Laar- eine Verknöcherung zu befürchten wäre. Aber ich glaube doch nicht, dass dieser Mann als theoretischer Physiker am richtigen Platze wäre. Er hat sich nur mit einem ganz engen Gebiet der theoretischen Physik selbständig be- fasst, und zwar mit einem Gebiete, das ohnehin in Holland schon in hohem Masse die Geister beherrscht. Von seiner sebständigsten theoretischen Lei- stung, der Arbeit über Opaleszenz[6] ist zu sagen, dass sie gegenüber der bahnbrechenden Arbeit Smoluchovskis[7] nur das Neue enthält, dass Keesom einen Schluss zu ziehen wagte, der nach Smoluchovskis gewissenhafter Prü- fung nicht genügend begründet erschien.[8] Nun zu Debije übergehend, möchte ich nicht einfach sagen, dass er Keesom inbezug auf wissenschaftliche Leistungsfähigkeit überhaupt überle- gen wäre. Beide Männer sind sicher von so grosser Begabung, dass ich es nicht wagen würde ein so allgemeines Urteil abzugeben. Aber speziell als theoretischen Physiker halte ich Debije für den überlegenen. Er beherrscht vor allem die mathematischen Hilfsmittel in ganz hervorragender Weise. Sei- ne Arbeit über die Diffraktion an Kugeln[9] ist gerade in dieser Beziehung eine Leistung ersten Ranges. Er verbindet strenge Kritik mit einer glückli- chen Phantasie. Dabei ist er von einer seltenen geistigen Beweglichkeit. Ich weiss von ihm, dass er die ganze theoretische Physik von heute beherrscht. Ich weiss aus Gesprächen, die ich mit ihm hatte,[10] dass er für die wichtigen Fragen aus allen Gebieten der Physik ein offenes Auge hat, was ich von Keesom nicht weiss (es könnte aber möglicherweise doch der Fall sein). Ich glaube geradezu, dass Sie es später bedauern würden, Debye nicht nach Holland zurückgerufen zu haben, solange es noch Zeit ist. Von Keesom denke