2 8 0 D O C U M E N T 1 9 8 D E C E M B E R 1 9 1 9
198. To Max Born
[Berlin,] Montag. [8 December
1919][1]
Lieber Born!
Dein ausgezeichneter Artikel in der Frankfurter Zeitung hat mich sehr
gefreut.[2]
Nun aber wirst Du gerade wie ich, wenn auch in schwächerem Massstab von Pres-
se- und sonstigem Gelichter verfolgt. Bei mir ist es so arg, dass ich kaum mehr
schnaufen, geschweige zu vernünftiger Arbeit kommen kann. Dieser Drillsche Ar-
tikel ist drollig, weil er die demokratische Methode der Anrufung und Beschwat-
zung der Menge in die Philosophie
einführt.[3]
Ich liesse den Mann ruhig mit sei-
nem Dreschflegel fuchteln; schade für die Zeit, die eine Antwort kosten würde.
Spar dein Temperament und lass den Kerl laufen und schwatzen. Sein Nachweis
der Causalität a priori ist wahrhaft erhebend.—
Ich war einige Tage bei Schlick in Rostock bei Gelegenheit der Jubiläums-Feier
der Universität, hörte dort bei diesem Anlass arge politische Hetzreden und sah
recht Ergötzliches in
Kleinstaat-Politik.[4]
Das Drollige liegt darin, dass alle einan-
der von der menschlichen Seite so genau kennen, dass grosse Töne, wo sie auch
angeschlagen werden, immer von komischen Obertönchen begleitet sind. Als Fest-
saal stand nur das Theater zur Verfügung, wodurch der Feier etwas komödienhaftes
gegeben wurde. Reizend war da zu sehen, wie in zwei Proszeniumslogen unter ein-
ander die Männer der alten und die der neuen Regierung sassen. Natürlich wurde
die neue von den akademischen Grössen mit Nadelstichen aller erdenklicher Art
traktiert, dem Ex-Grossherzog eine nicht enden wollende Ovation
dargebracht.[5]
Gegen die angestammte Knecht-Seele hilft keine Revolution! Schlick ist ein feiner
Kopf; wir müssen suchen, ihm eine Professur zu verschaffen, zumal ers bei der Ent-
wertung der Vermögen auch bitter nötig hat. Es wird aber schwer halten, weil er
nicht der philosophischen Landeskirche der Kantianer angehört.
Planck’s Unglück geht mir sehr zu
Herzen.[6]
Ich konnte die Thränen nicht zu-
rückhalten, als ich ihn nach meiner Rückkehr von Rostock besuchte. Er hält sich
wunderbar tapfer und aufrecht, aber man sieht ihm den nagenden Kummer an.
Die Briefe Deiner Frau sind köstlich, so urwüchsig und
treffsicher.[7]
Hoffent-
lich findet unser Freund Oppenheim bald die ersehnte Hebamme, wenn nicht, lässt
sich das frohe Ereignis auch noch etwas
aufschieben.[8]
In einer bösartigen Sorte
von Schwangerschaft lebt auch mein Freund Haber, der nun seit Deiner Übersiede-
lung sich in seinem Jammer auf mich gestürzt
hat.[9]
Er hat so eine gewaltsame Me-
thode, mit der er von der Natur die Wahrheit abzwingen will. Sachlichem Zweifel