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aufgesucht
habe.[3]
Und dabei bringen Sie es noch fertig, sich selbst zu entschuldi-
gen! Nichts half es, ich fühlte meine Schuld nur noch stärker. Zu meiner Entschul-
digung nur das Eine, dass mein Züricher Aufenthalt in den letzten Tagen einem
durchgegangenen Kinematographen ähnelte. Die Hauptsache ist nun, dass Sie die
unvermeidliche Grippe gut überstanden haben und sich sogar wohler fühlen als
vorher. Elsas Herzleiden hat sich nebenbei bemerkt als Folge von Grippe-Bonbons
herausgestellt, die abscheulich auf das Herz wirkten. Als sie damit aufhörte,
schwanden auch die lästigen
Symptome.[4]
Ich erzähle es Ihnen zur Warnung da-
vor. Hier geht es wieder lebhaft her. Das Land gleicht einem, der sich den Magen
übel verdorben hat, sich aber noch nicht genügend erbrochen hat. Wenn Scheide-
mann, Noske etc. noch draussen sind, wirds dem Patienten schon allmählich besser
werden.[5]
Dann kanns endgültig besser werden, wenn er sich zu einem soliden Le-
benswandel entschliessen kann. Ihr Optimismus freut mich, und ich teile ihn. Die
Vorbereitung des Bewusstseins der trägen Masse zum Sozialismus macht deutliche
Fortschritte, wenn ichs auch häufig nur an der Heuchelei unseres famosen Berliner
Tagblattes
erkenne.[6]
Dass das Poly noch nicht in der Lage ist, sich zu häuten, hat
vielleicht auch sein
Gutes.[7]
Eine politisch ruhigere Zeit wird diesem Akt viel-
leicht in mancher Beziehung günstiger sein, weil gegenwärtig nichtsachliche Ge-
sichtspunkte mehr als billig in den Vordergrund rücken könnten. Ich hab eine
interessante Idee in der allgemeinen Relativität
gefunden.[8]
Hoffentlich hält sie
stand; gewöhnlich stellt sich in solchen Fällen nach kurzer Zeit Kritik mit Katzen-
jammer ein! Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit und Ihr sonstiges Wohl-
ergehen grüsst Sie herzlich Ihr
Einstein.
ALS (SzZE Bibliothek, Hs. 304:1127a). [22 257]. The envelope is addressed “Herrn Prof. Dr. Stodola
Freie Str. Zürich (Schweiz)” with return address “Abs. A. Einstein Haberlandstr. 5 Berlin.” Two post-
marks at the upper right edge of the envelope are completely illegible. Next to the address is a post-
mark without date, but with “Geprüft” and “Postüberwachungsstelle Freiburg i. B.,” indicating that
the German postal censor’s office in Freiburg im Breisgau inspected the letter.
[1]Year provided by the references to members of the German government.
[2]Stodola (1859–1942) was Professor of Mechanical Engineering at the Swiss Federal Institute of
Technology (ETH).
[3]While delivering a series of relativity lectures at the University of Zurich (see Doc. 10).
[4]The detrimental effects of “Anginos-Tabletten” were pointed out to Einstein a month earlier (see
Doc. 7).
[5]Philipp Scheidemann (1865–1939) had been German prime minister (Ministerpräsident) since
mid-February. In order to quell an uprising organized by the German Communist Party at the begin-
ning of March, his defense minister, Gustav Noske (1868–1946), declared a state of emergency and
gave an order that allowed armed individuals to be shot on sight, an illegal measure that was revoked
in mid-March.
[6]Einstein may have held lingering resentment about the Berliner Tageblatt’s abandonment of pac-
ifism during the war. After Theodor Wolff became editor in 1906, the newspaper became an outspo-
ken advocate of pacifism (see Chickering 1975, p. 190; and Schwarz 1968), whereas during the war
it supported Germany’s war effort (see Zuelzer 1982, p. 243).
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