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herrlicher intuitiver
Begabung.[3]
Aber es geht nicht. Ich las nämlich Januar–Febru-
ar 4 Wochen in der Schweiz und muss im Sommer wieder 4 Wochen dort
lesen.[4]
Mehr kann ich mich hier nicht absentieren ohne dass es unanständig wäre. Auch
bin ich sehr im Rückstand mit meinem hiesigen Kolleg, teils durch das Züricher
Kolleg, teils dadurch, dass viele Kollegs hier wegen Schliessung der Universität in-
folge Unruhen ausfallen
mussten.[5]
Endlich bin ich glühend mit einem Problem
der allgemeinen Relativität beschäftigt, das mir Tag und Nacht keine Ruhe
gibt.[6]
Die Politik enttäuscht mich gegenwärtig sehr. Diejenigen, Staaten, deren Obsiegen
ich während des Krieges als das unvergleichlich geringere Übel empfunden hatte,
erweisen sich nun als nur wenig kleineres
Übel.[7]
Dazu die überaus unehrliche hie-
sige innere Politik. Reaktion mit allen Schandthaten in widerlicher revolutionärer
Verkleidung![8]
Man weiss nicht, wohin man schauen soll, um Freude am Treiben
der Menschen zu haben. Am meisten freut mich die Realisierung des jüdischen
Staates in
Palästina.[9]
Es kommt mir vor, dass unsere Stammesgenossen doch sym-
pathischer sind (zum mindesten weniger brutal) als diese scheusslichen Europäer.
Vielleicht kann es nur dadurch besser werden, dass die Chinesen allein übrig blei-
ben, die alle Europäer mit dem Sammelnamen „Räuber“ bezeichnen.
Die Überlegung von Schouten über eine auf Relativität zurückzuführende Prä-
zessionsbewegung finde ich sehr witzig, wenn auch nicht ganz
zwingend.[10]
Ich
hätte ihm einen so lebendigen Gedanken eigentlich nicht zugetraut. Gewiss hat
auch Lorentz seine Freude daran
gehabt.[11]
Ein sehr guter Experimentator in Zü-
rich (Dr. Beck) findet den von De Haas und mir gemessenen magnetischen Dreh-
effekt nur halb so gross, als die Theorie es
verlangt.[12]
Der Mann ist durchaus ernst
zu nehmen. Man sollte die Messungen wiederholen, um die Sache aufzuklären
bzw. zu
entscheiden.[13]
Herzliche Grüsse von Euerm
Einstein
P. S. Herzliche Grüsse an Nordström, der mich auch so liebenswürdig zum Kom-
men aufgefordert hat. Ich freue mich, dass er nun in Helsingfors einen Wirkungs-
kreis gefunden
hat.[14]
ALS. [9 427].
[1]Ehrenfest (1880–1933) was Professor of Theoretical Physics at the University of Leyden.
[2]For details of the history of Einstein’s medical condition, see Doc. 1, note 5.
[3]Niels Bohr (1885–1962) was Professor of Theoretical Physics at the University of Copenhagen.
Bohr would visit Leyden in the last weeks of April 1919 (see Paul Ehrenfest’s Diary, NeLR, Ehrenfest
Archives, Notebooks ENB:1-25, entries 19–29 April 1919).
[4]Einstein lectured at the University of Zurich in January and February 1919 on special relativity