D O C U M E N T 5 1 J U N E 1 9 2 0 3 0 7
In der Frage nach der Verletzung des Kausalpostulats durch das alte Trägheits-
gesetz (der Philosoph H. Driesch, jetzt Ordinarius in Köln, hat von ihm komischer-
weise erklärt: das Trägheitsgesetz ist „der angewandte Kausalsatz, weiter
nichts“)[5]
muß ich fürchten, noch nicht die letzte Klarheit erlangt zu haben. Ich
sehe nämlich noch nicht ganz klar, wie weit eigentlich Ihre Ansicht von den Aus-
führungen meines Aufsatzes
abweicht.[6]
Ein Teil Ihrer Bedenken scheint sich ge-
gen den ersten Ansatz zur Lösung zu richten, der in dem Artikel selbst nur als vor-
läufig betrachtet und hinterher verbessert wird—freilich wohl nicht genug. Der
Sinn der Betrachtung ist zunächst nur, daß der absolute Raum, den die Newtonsche
Mechanik selbstverständlich annehmen muß, von ihr doch nicht als Ursache im
Sinne des Kausalprinzips betrachtet zu werden braucht. M.a.W.: sie braucht die
Trägheitswiderstände bei gewissen Bewegungen nicht als Wirkung einer absoluten
Beschleunigung anzusehen, sondern kann sie auch als deren definitorisches Merk-
mal auffassen. Dieser Satz scheint mir aber Ihrer Ansicht nicht zu widersprechen,
und wenn ich recht verstanden habe, irre ich nur in meiner Erklärung des Grundes,
warum die Newtonsche Betrachtungweise so unbefriedigend ist. Ich glaubte ihn
darin zu finden, daß die alte Mechanik mit der Kausalerklärung früher halt machte
als nötig war; verstehe ich recht, daß sie früher halt machte, als sie überhaupt durf-
te? Das letztere schien mir nur unter den im Aufsatz angegebenen Voraussetzungen
zu folgen, die ja freilich für die jetzige Wissenschaft unaufhebbare Postulate sind.
Daß es eine unerlaubte Schematisierung war, von den Eigenschaften eines Körpers
zu reden, als wenn es deren nur eine endliche Anzahl gäbe, muß ich natürlich zu-
geben: ebenso, daß ein Teil der Eigenschaften stets eine Folge der übrigen ist, so-
bald der Körper einem „theoretischen System“ angehört. Nur schien es mir eben in
der Erfahrung keine andern theoretischen Systeme zu geben als solche, die mit Pro-
zessen operieren (Vierdimensionalität alles Wirklichen).
Ich hatte auch wohl unrecht mit der Behauptung, ein Gravitationsfeld sei nicht
im gleichen Sinne beobachtbar wie die Massen. Es trifft das höchstens in dem ganz
groben Sinne zu, in dem man sagen darf: ich nehme wohl zwei Körper wahr, aber
nicht das Gravitationsfeld mitten zwischen ihnen. Es scheint mir freilich ein Streit-
punkt zu sein, ob man bei der Auseinandersetzung mit Machschen Gedanken das
Wort „wahrnehmbar“ im allergröbsten Sinne nehmen
darf.[7]
Natürlich war es etwas unphilosophisch und dogmatisch von mir zu meinen, die
Gesetzlichkeit innerhalb eines Zeitschnittes sollte nicht als kausal bezeichnet
werden.[8]
Meine Gründe dafür waren nur 1) die Tatsache, daß in der Bewußtseins-
wirklichkeit die Zeit eben doch eine ausgezeichnete Rolle zu spielen scheint, und
2) daß jene Gesetzlichkeiten einen andern Charakter tragen müßten als die in der
Previous Page Next Page