V O L U M E 8 , D O C U M E N T 6 0 7 a 1 7 7
—Deine heutige Darstellung des gefühlsmässigen Vorzugs der geschlossenen
Welt, mit Glied, scheint mir übrigens nicht glücklich: was stört mich die dauern-
de Austrahlung der Wärmeenergie in den unendlichen leeren umgebenden Raum?
(im Gegenteil, sie bewahrt mich ja von dem Wärmetod, indem sie das Reservoir
von unendlicher Kapazität und absol. Temp. 0 darstellt.)—
—Und wieder zur Frage nach Vergangenheit und Zukunft. Für mich identifiziert
sie sich mit der Frage, ob das Weltgeschehen als durchau[s] naturgesetzliches Ge-
schehen zwischen gegebenen physikalischen Wesen aufgefasst werden könne;
oder als prinzipiell unbegrenztes, endloses Schaffen. Ich wiederhole mich: Deter-
minismus als Ergebnis des Erfahrungszwanges, als Unterwerfung des Geistes unter
einem imposanten Grenzgesetz, solange die äussere Erfahrung keinen Grund ge-
gen diesen Limesübergang hergibt ..... ist nach meiner jetzigen Ansicht immer noch
ein Saltomortale der Vernunft (aber ein „verzeiliches“) [es ist ja wunderbar wie
Spinoza die wissenschaftliche Entwicklung vorausnimmt—etwas als „Freiheit“
definiert, was keine Freiheit im Sinne der kausalen Ungebundenheit sein soll: wie
sein Gebilde aber doch dem Worte auch in diesem Sinne schliesslich ganz ent-
spricht, wenn auch blos auf das blos erkennende Subjekt
bezogen!][11]
Nachdem
nun aber der Grenzübergang klar als illegitim erwiesen ist, scheint mir das Festhal-
ten am Determinismus anders als an einer Arbeitshypothese der Naturwissen-
schaft, also als an einem Glauben— —ein sehr wunderlicher Glaube. Gewisse Ur-
elemente des geistigen „Nachbaus“ der Welt müssen wir annehmen: aus diesen die
Urtatsachen des Bewusstseins: Gegebenheit der Vergangenheit Möglichkeit
der Zukunft; Existenz von, im Rahmen dieser Möglichkeit, schaffenden Prinzipien:
gerade diese Urtatsachen auszuschliessen: das ist ein Vorgang, den die Geschichte
der Wissenschaft, als einen zeitweisen Vorgang, gerechtfertigt hat: den ich aber,
wenigstens, als endgiltigen Geisteszustand, für unendlich „unwahrscheinlich“ an-
sehe.
—Das Letzte ist die Unauflösiglichkeit des Seienden. Das Schaffende schafft
sich Bilder des Ganzen, worin ein dem Schaffenden selbst entsprechender „Nabel“
bleiben muss.— Ein solcher „Nabel“ ist bei Spinoza der Amor intellectualis. Ein
solcher Nabel ist in der heutigen Geschehensphysik die schliesslich nur ein
4-dimensionales Sein darstellt, der das Sein best[rei]chende Bewusstseinskegel ::
besser, worauf es ankommt, nach hinten Bewusstsein—nach vorne Tätigkeitske-
gel!
Ich glaube übrigens, ich renne eine völlig offene Türe ein. Du sagst wohl nur:
„in der Physik hat diese Anschauung noch kein Bürgerrecht. Sobald man etwas da-
mit anfängt (und nicht vorher!) darf ich mich als Physiker damit abgeben“. Woge-
gen ich selbstverständlich nichts einwenden kann noch will.
Herzlichen Gruss von Deinem
Michele
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