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Du fragst mich in Deiner launigen Weise: „Bist Du eigentlich immer noch nicht
reif für
Zürich?“[6]
Damit steht es so. In persönlicher Beziehung habe ich es hier
wundervoll. Die nächsten Kollegen sind wahrhaft herzlich und freundschaftlich.
Das Ministerium thut, was es mir von den Augen absehen kann. An wahrhaft auf-
opfernden Freunden fehlt es auch nicht. Aber es wird mir ungemein schwer, meine
Familie in Zürich durchzubringen; es wäre längst unmöglich, wenn mir nicht son-
derbare Verhältnisse, die aber vielleicht nicht von erheblicher Dauer sind, zu Hilfe
gekommen
wären.[7]
Meine Kinder nach Deutschland zu verpflanzen halte ich
nicht für
richtig.[8]
So kann es sein, dass ich aus diesen äusseren Gründen daran
denken muss, meine jetzige Stellung zu verlassen. Aber es graut mir davor, weil
man hier verzweifelte Anstrengungen machen wird, mich zu halten, zum kleineren
Teil, weil man mich persönlich und wegen meines Gehirnschmalzes haben will,
zum grösseren Teil, weil ich durch das Zeitungsgeschrei zu einem Fetisch gewor-
den
bin.[9]
Ich spiele eine ähnliche Rolle wie die Gebeine das Heiligen, die man in
der Stiftskirche haben muss. Mein Weggang würde wie eine verlorene Schlacht
empfunden. Es wird mir verdammt schwer fallen, die nötige Härte aufzubringen,
auch wenn es nötig sein wird. Auch glaube ich dass sie im Notfall das nötige Geld
stets auftreiben werden. Das Tragische an meiner Situation liegt darin, dass ich
nicht einen geringen Bruchteil des Selbstgefühls aufbringen kann, um mit „Würde“
die mir ohne meine Schuld zugefallene Rolle zu spielen.
Es freut mich von Herzen, dass Deine Frau wieder ganz gesund und froh
ist,[10]
und dass es Euch überhaupt nach Wunsch geht. Nicht minder freut es mich, dass
unsere Buben Schulkameraden sind, wie wir es
waren.[11]
Hoffentlich sehen wir
uns bald einmal wieder. Dieses Jahr lasse ich meine Buben (im Oktober) nach
Deutschland kommen, weil mir eine Reise in die Schweiz zu kostspielig
ist.[12]
Es grüsst Dich herzlich Dein
Einstein.
Für die
ıArchives„[13]
In den letzten Jahren hat Herr E. Guillaume in dieser Zeitschrift wiederholt zu
der Relativitäts-Theorie Stellung genommen und insbesondere versucht, einen
neuen Begriff (temps universel) in diese Theorie einzuführen. Auf wiederholte
Aufforderungen des Verfassers selbst und anderer Fachgenossen hin, halte ich es
für nötig, folgendes zu erklären.
Trotzdem ich mir die grösste Mühe gegeben habe, bin ich nicht imstande gewe-
sen, mit Guillaume’s Ausführungen einen irgendwie klaren Sinn zu verbinden.
Auch durch eine mit aller Geduld durchgeführte Korrespondenz konnte ich zu die-
sem Ziele nicht gelangen. Insbesondere ist mir völlig unklar geblieben, was der
Autor unter „Temps universel“ versteht. Meine Fähigkeit zu begreifen geht nicht