356 DOC. 231 WARBURG AS RESEARCHER Heft 38. 22. 9. 1922]' Einstein: Emil Warburg als Forscher. 825 Der durch eine angelegte Spannung be- wirkte Polarisationsstrom ändert die Belegungs- dichte jener Doppelschicht derart, daß die Oberfläche des Metalls bei diesem Vorgang die Rolle eines Isolators spielt. Die beobachtbare Oberflächenspannung des den Elektrolyten berüh- renden Quecksilbers setzt sich zusammen aus der eigentlichen (positiven) Oberflächenspannung T0 der Grenzschicht und der negativen Spannung T der elektrischen Doppelschicht. Die Gesamt- spannung T0 + T hat also nach ihm ein Maximum, wenn T. also auch die elektrische Doppelschicht, verschwindet. Man hätte also hier ein Mittel, um die elektrische Potentialdifferenz zwischen Quecksilber und Elektrolyt zum Verschwinden zu bringen und so Potentialdifferenzen Metall- Elektrolyt absolut zu messen. Warburg hält dem entgegen, daß ein großer Teil des Polarisationsstromes sehr wohl dazu ver- wendet werden kann, daß Wasserstoff kathodisch ausgeschieden wird, und daß die Änderung der Gesamtoberflächenspannung T0 + T des Queck- silbers sehr wohl auf einer durch den abgeschiede- nen Wasserstoff bewirkten Änderung der Queck- silberoberfläche und damit von T0 beruhen kann. Diese Auffassung führt natürlich auch zu einer anderen Theorie des Wesens der Polarisation als die durch Helmholtz gegebene rein physikalische. Warburg hat seinen Standpunkt in mehreren Ar- beiten ausführlich begründet und scheint mir mit dieser Untersuchung auf dem keineswegs abge- schlossenen Gebiete der Elektrochemie der Grenz- schichten einen bahnbrechenden Schritt getan zu haben. Im Zusammenhang mit diesem Problem stehen zwei weitere wichtige Arbeiten Werburgs, eine aus dem Jahre 1896 über das Verhalten von un- polarisierbaren Elektroden gegen Wechselstrom und eine (1901) über die Polarisationskapazität des Platins. Eine "unpolarisierbare Elektrode" ist z. B. Cu gegen Lösung von CuSO4. Wir wür- den heute eine solche dadurch charakterisieren, daß die elektrische Potentialdifferenz zwischen Metall und Elektrolyt in jedem Augenblick durch die Metall-Ionen-Konzentration an der Elektrode bestimmt ist. In diesem Falle ist, wie Warburg gezeigt hat, die ganze Polarisation zurückzuführen auf die durch die Diffusion limitierten Konzen- trationsänderungen, welche die Elektrolyse an den Elektroden erzeugt. Die Phasendifferenz zwischen der Polarisations E.M.K. und dem Strom ist in diesem Falle erheblich (z. B. um 40°) kleiner als Ganz anders bei polarisierbaren Elektroden, z. B. Quecksilber-verdünnte Schwe- felsäure. In diesem Falle ist die Phasenverspä- tung der Polarisationsspannung gegenüber dem Strom bei hoher Frequenz des Wechselstromes nur wenig kleiner als die Elektrode verhält 2 sich also ähnlich wie ein Kondensator hoher Kapazität. Warburg zeigt, daß man diesen Fall dadurch verstehen kann, daß Produkte der Elek- trolyse, z. B. Wasserstoff, periodisch durch die Elektrolyse an der (Platin-) Elektrode abgeschie- dem und gelöst werden, wobei die Potentialdiffe- renz Elektrode-Elektrolyt von der abgeschiede- nen Menge in erster Näherung linear abhängt. Ohne Diffusion dieser Abscheidung (z. B. Wasser- stoff) in die Lösung und ins Innere der Elektrode wäre die Phasendifferenz zwischen Strom und Spannung jene Diffusion vermindert aber die 2 Phasendifferenz. Diese Vorgänge werden von Warburg in der zweiten der genannten Arbeiten analysiert. Die zahlreichen subtilen Untersuchungen über die chemischen Wirkungen der stillen elek- trischen Entladung müssen von anderen gewür- digt werden, die die Meisterschaft experimen- teller Feinarbeit besser zu beurteilen wissen als ich, ebenso die in Gemeinschaft mit Physikern der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt von Warburg ausgeführten Präzisionsuntersuchungen über die Plancksche Strahlungsformel. Wer einen Einblick in Warburgs erfindungsreiche Experi- mentierkunst, kritische Vorsicht, unermüdliche Arbeitskraft erlangen will, der muß die Original- abhandlungen studieren. Aber der photochemi- schen Arbeiten des letzten Jahrzehntes müssen wir noch gedenken, von denen man ohne Übertreibung sagen kann, daß sie die quantitative Photo- chemie erst begründet haben. Er hat an Gasreak- tionen - zuerst im Jahre 1906 an Brom-Wasser- stoff-Gas - in vollkommen einwandfreier Weise gezeigt, daß der Primärprozeß in der Aufnahme des Energiequantums hv der wirksamen Strah- lung durch ein Molekül besteht. Dieser primäre Absorptionsvorgang hat an sich noch nichts zu schaffen mit den nachfolgenden chemischen Reak- tionen, zu denen er nur die Energie liefert. Das mit einem absorbierten Quant beladene Molekül hat nun besondere Reaktionsmöglichkeiten. Es kann entweder (bei hinreichender Größe der Quantenenergie) spontan zerfallen, wobei die Spaltungsprodukte mit anderen Molekülen weiter reagieren oder es kann das mit einem absorbier- ten Quant versehene Molekül mit anderen Mole- külen in bestimmter Weise chemisch reagieren. Nur in dem Falle, daß jene chemischen Reaktio- nen eindeutig an die Quantenabsorption geknüpft sind, wird die Zahl der pro Quant umgesetzten Mole sich theoretisch voraussehen lassen, z. B. im Falle des HBr, wo pro Quantum absorbierter Strahlung ein Molekül H2 und ein Molekül Br2 gebildet wird. Daß diese wichtige Bestätigung der Quantentheorie erst so spät erbracht wurde, liegt einerseits an den großen experimentellen Schwierigkeiten (Messung der absorbierten ultra- violetten Strahlungsenergie und der winzigen umgesetzten Mengen, Erzielung der nötigen Rein- heit des Gases), andererseits auch in der theore- tischen Interpretation des experimentellen Befundes.