5 5 8 D O C . 3 7 9 T R A V E L D I A R Y F E B R U A R Y 1 9 2 3 nachts Aufenthalt Dann Abfahrt nach Palästina, erleichtert[199] durch jungen jüdi- schen Kondukteur, der mich in Berlin in Versammlung gesehen hatte—von Mitju- den nicht restlos begeistert, aber braver, guter Mensch, Fahrt zuerst durch Wüste, dann von etwa Uhr ab durch Palästina bei ziemlich trübem Wetter und häufigem Regen Fahrt zuerst durch sehr spärlich bewachsene Ebene, durch Araberdörfer und jüdische Kolonien unterbrochen, Ölbäume, Kakteen, Orangenbäume. An Zweig- station unweit Jerusalem von Ussuschkin, Mossensohn und einigen andern der uns- rigen empfangen.[200] Fahrt an Kolonien vorbei durch wunderbares Felsthal hinauf nach Jerusalem.[201] Dort Ginzberg, frohes Wiedersehen. Im Auto mit Offizier zum Schloss des Gouverneurs, ehemals im Besitz Kaiser Wilhelms, ganz wilhelmi- nisch. Herbert Samuel kennen gelernt. Englische Form. Hohe vielseitige Bildung. Hohe Lebensauffassung, mit Humor gemildert. Schlichter feiner Sohn, frohmütige, derbe Schwiegertochter mit nettem Söhnchen. Tag regnerisch, aber doch Ahnung von der herrlichen Aussicht auf Stadt, Hügel, totes Meer und transjordanische Berge.[202] 3. Mit S. Samuel zu Fuss in die Stadt (Sabbat!) auf Fussweg bis zu an Stadt- mauer vorbei zu malerischem altem Thor, Weg in die Stadt bei Sonnenschein. Strenge kahle Hügellandschaft mit weissen, oft gekuppelten weissen Stein-Häu- sern und blauem Himmel hinreissend schön, ebenso die in quadratische Mauer ge- drängte Stadt.[203] Weiter mit Ginzberg in die Stadt. Durch Bazar- Strassen Gassen und sonstige enge Gassen zur M grossen Moschee auf herrlichem weitem erhöh- tem Platze, wo Salomos Tempel stand. Aenlich Byzantinischer Kirche polygonal mit mittlerer, von Säulen getragener Kuppel.[204] Auf anderer Seite des Platzes Ba- silika-ähnliche Moschee von mittelmässigem Geschmack[205] Dann hinunter zu Tempelmauer (Klagemauer), wo stumpfsinnige Stammesbrüder laut beteten, mit dem Gesicht der Mauer zugewandt, den Körper in wiegender Bewegung vor und zurück beugend.[206] Kläglicher Anblick von Menschen mit Vergangenheit ohne Gegenwart. Dann diagonal durch die (sehr dreckige) Stadt, weit die von verschie- densten Heiligen und Rassen wimmelt, geräuschvoll und orientalisch-fremdartig. Prachtvoller Spaziergang über den zugänglichen Teil der Stadtmauer.[207] Dann zu Ginzberg-Ruppin zum Mittagessen mit fröhlichen und ernsten Gesprächen.[208] Aufenthalt wegen starken Regens. Besuch im Bucharischen Judenviertel und in dü- sterer Synagoge, wo gläubige, schmutzige Juden betend Sabbatende erwarten.[209] Besuch bei Bergmann, dem ernsten Prager Heiligen, der die Bibliothek einrichtet mit zu wenig Raum und Geld.[210] Fürchterlicher Regen mit vermehrtem Strassen- dreck. Heimfahrt mit Ginzberg und Bergmann im Auto. 4. Mit Ginzberg und S Samuels tüchtiger und derbnatürlicher, froher Schwieger- tochter[211] über wundervoll kahle weiche Hügel und eingeschnittenen Thälern im Auto bei strahlender Sonne und frischem Wind im Auto hinunter nach Jericho und [p. 34] [p. 34v]
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