2 2 D O C U M E N T 5 A P R I L 1 9 2 3 wir herzlich für die schöne Karte aus Japan.[4] Wir wussten nie Eure Adresse und konnten nicht antworten. Jetzt möchte ich aber den Gedankenaustausch wieder auf- nehmen, soweit ich Deine Zeit beanspruchen darf. Wie gern würde ich mir Deine Erlebnisse auf der grossen Reise erzählen lassen. Vielleicht komme ich Ende des Monats auf einige Tage nach Berlin, um einen amerikanischen Gönner und Freund zu besuchen, der mir hilft, meine Studenten durchzufüttern.[5] Dann hoffe ich Dich zu sehen.— Wir haben hier sehr still und zurückgezogen gelebt. Das einzige, äu- ßere Ereignis von Bedeutung war ein Besuch Lord Haldanes.[6] In dessen Kopf sieht es recht konfus aus trotzdem haben die allgemeine Bildung und das europä- ische Wesen des Mannes auf uns (d. h. Hilbert, Franck, Courant[7] u. mich) großen Eindruck gemacht.— Falls Du die Zeitschriftenhefte des letzten Halbjahrs durch- blätterst, wirst Du sehen, daß ich ziemlich fleißig war und auch eine ganze Menge von Schülern in Gang gehalten habe.[8] Aber es sind lauter kleine Probleme, mit denen ich mich herumschlage. An die großen Quantenrätsel komme ich trotz aller Mühe nicht heran. Wir haben hier Störungstheorie (nach Poincaré) gelernt,[9] um festzustellen, ob man bei genauer Rechnung aus den Bohrschen Modellen die be- obachteten Termwerte bekommt aber das ist ganz sicher nicht der Fall, wie sich beim Helium gezeigt hat, wo wir alle möglichen mehrfach-periodischen Bahnen (mit genügender Annäherung) gefunden haben.[10] Ich hatte im Winter Heisenberg hier (da Sommerfeld in Amerika war) dieser ist mindestens ebenso begabt wie Pauli, aber persönlich netter und erfreulicher.[11] Auch spielt er sehr gut Klavier. Wir haben außer der Helium-Arbeit zusammen einige prinzipielle Fragen der Bohrschen Atomtheorie untersucht, besonders über die Phasenbeziehungen in Atommodellen (Z-f. Phys.).[12] Jetzt bin ich auch endlich mit meinem grossen En- zykl.-Artikel über Gittertheorie fertig er ist etwa 250 Seiten lang geworden und soll als 2. Aufl. meines alten Buches erscheinen.[13] Ich hoffe, daß er im Mai heraus kommen wird. Damit lege ich dieses Gebiet ad acta, bis die Frage der homöopola- ren Atombindung vom Bohrschen Standpunkt aus geklärt ist.[14] Leider versagt je- der Versuch zu genauer Begriffsbildung. Ich sehe nur, daß alles in Wirklichkeit ganz, ganz anders sein muss, als man jetzt denkt. Qualitative Resultate aber kann man in Menge aus den Bohrschen Ideen schöpfen Franck ist darin großartig und macht immer wieder hübsche Experimente. Ich zittere davor, daß Franck den Ruf nach Berlin kriegt.[15] Es wäre für ihn, für die Physik und auch für Berlin besser, wenn er hier bliebe. Von mir ganz zu schweigen! Augenblicklich ist er nach Hol- land zu Hertz[16] gefahren. Man hört, daß Du eine neue Theorie über Zusammen- hang von metrischem und elektromagnetischem Feld hast, wobei eine Beziehung der Gravitation zum Erdfelde herauskommen soll.[17] Ich bin äußerst neugierig dar- auf. Was sonst an relativistischen Arbeiten publiziert wird, lässt mich meistens