1 4 0 D O C . 8 0 A N T I S E M I T I S M A N D A C A D E M I C Y O U T H 80. “Antisemitism and Academic Youth” [Berlin, after 15 July 1923][1] Antisemitismus und akademische Jugend[2] Solange wir im Ghetto lebten, brachte unsere Zugehörigkeit zum jüdischen Vol- ke materielle Schwierigkeiten und manchmal physische Gefahr mit sich, aber keine sozialen und seelischen Probleme. Mit der Emanzipation änderte sich diese Sach- lage, und zwar ganz besonders für diejenigen Juden, welche sich geistigen Berufen zuwandten. Der junge Jude steht in Schule und Universität unter dem Einflusse einer von ihm hochgeachteten und bewunderten national gefärbten Gesellschaft, von der er seine geistige Nahrung empfängt, zu der er sich zugehörig fühlt, und von der er sich gleichzeitig als ArtFremden ¢behandet und geringschätzig² mit einer gewissen Ge- ringschätzung und Abneigung behandelt sieht. Mehr unter dem suggestiven ¢Macht² Einfluss dieser seelischen Übermacht als von utilitaristischen ¢Gesichts- punkten² Rücksichten getrieben kehrt er seinem Volke und seinen Traditionen den Rücken und betrachet sich restlos als zu den andern gehörig, indem er vor sich und den andern vergebens zu verbergen sucht, dass dies Verhältnis kein gegenseitiges ist. So entsteht der bedauernswerte getaufte jüdische Geheimrat von gestern und heute. Meist hat ihn nicht Charakterlosigkeit und Streberei zu dem gemacht, was er ist, sondern—wie gesagt—die suggestive Macht einer an Zahl und ¢Macht² Ein- fluss überlegenen Umgebung. Wohl weiss er, dass viele und vortreffliche Söhne des jüdischen Volkes zu der Blüte von Europas Kultur erheblich beigetragen haben. Aber haben sie es nicht mit wenigen Ausnahmen alle ungefähr so gemacht wie er?[3] Wie bei ¢den meisten² vielen seelischen Übeln liegt die Heilung auch hier in der klaren Erkenntnis seines Wesens und seiner Ursachen. Wir ¢können² müssen uns unserer Artfremdheit klar bewusst sein und aus ihr die Konsequenzen ziehen. Es hat keinen Sinn zu versuchen, die anderen von unserer seelischen und geistigen Ebenbürtigkeit durch Deduktionen überzeugen zu wollen denn die Wurzel ihres Verhaltens sitzt nicht im Grosshirn. Wir müssen uns vielmehr sozial emanzipieren, ¢und unsere Beziehungen zu den andern in der Hauptsache auf das Geistige und Berufliche beschränken,² unsere gesellschaftlichen Bedürfnisse ¢aber aus² in der Hauptsache selbst befriedigen. Wir sollen unsere eigenen Studentengesellschaften haben und den Nichtjuden gegenüber höfliche aber konsequente Zurückhaltung