DOC . 75 NOBEL LECTURE 133 9 Ein zweites Problem, das gegenwärtig die Geister besonders lebhaft beschäftigt, ist das der Wesens-Einheit des Gravitationsfeldes und des elek- tromagnetischen Feldes. Der nach Einheitlichkeit der Theorie strebende Geist kann sich nicht damit zuirieden geben, dass zwei ihrem Wesen nach voneinander ganz unabhängige Felder existieren sollen. Man sucht nach einer mathematisch einheitlichen Feldtheorie, in welcher das Gravitationsfeld bezw. das elektromagnetische Feld nur als verschiedene Komponenten bezw. Er- scheinungsformen des gleichen einheitlichen Feldes aufgefasst sind, wobei die Feldgleichungen womöglich nicht mehr aus logisch voneinander unab- hängigen Summanden bestehen. Die Gravitationstheorie, d. h. vom Standpunkt des mathematischen Formalismus betrachtet die Riemann’sche Geometrie, soll so verallgemeinert werden, dass sie die Gesetze des elektromagnetischen Feldes mit umfasst. Leider können wir uns bei dieser Bemühung nicht auf empirische Tat- sachen stützen wie bei der Ableitung der Gravitationstheorie (Gleichheit der trägen und schweren Masse), sondern wir sind auf das Kriterium der ma- thematischen Einfachheit beschränkt, das von Willkür nicht frei ist. Der gegenwärtig als am erfolgreichsten erscheinende Versuch ist der auf Ge- danken von Levi-Civita, Weyl und Eddington aufgebaute, die Riemann’sche metrische Geometrie durch die allgemeinere Theorie des affinen Zusammen- hanges zu ersetzen. Für die Riemann’sche Geometrie ist die Voraussetzung charakteristisch, dass zwei unendlich benachbarten Punkten ein »Abstand» ds zugeordnet wird, dessen Quadrat eine homogene Funktion zweiten Grades der Koor- dinaten-Differentiale ist. Hieraus folgt (abgesehen von gewissen Realitäts- verhältnissen) die Gültigkeit der euklidischen Geometrie in jedem unendlich- kleinen Gebiet. Es ist also zu jedem Linienelement (bezw. Vektor) in einem Punkte P ein paralleles und gleiches Linienelement (bezw. Vektor) durch jeden gegebenen, infinitesimal benachbarten Punkt P zugeordnet (affiner Zusammenhang). Die Riemann’sche Metrik bestimmt einen affinen Zusammenhang. Ist aber umgekehrt ein affiner Zusammenhang (Gesetz der infinitesimalen Parallelverschiebung) mathematisch gegeben, so existiert im Allgemeinen keine Riemann’sche Massbestimmung, aus welcher er sich ab- leiten Hesse. Der wichtigste Begriff der Riemann’schen Geometrie, die »Raumkrüm- mung», auf welchem auch die Gravitationsgleichungen beruhen, gründet sich ausschliesslich auf den »affinen Zusammenhang». Gibt man einen solchen in einem Kontinuum, ohne erst von einer Metrik auszugehen, so hat man
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