342 DOC. 220 NON-EUCLIDEAN GEOMETRY Albert Einstein, Nichteuklidische Geometrie und Physik 17 Geometrie aus der trüben Sphäre des Empirischen herauszuheben, führte nun unvermerkt zu einer geistigen Umstellung, welche der Beförderung verehrter Helden der Vorzeit zu Göttern einigermaßen analog ist. Man gewöhnte sich nämlich allmählich daran, die Grund- begriffe und Axiome der Geometrie als „evident“ anzusehen, das heißt als mit dem menschlichen Geist an sich gegebene Gegenstände und Qualitäten der Vorstellung, derart, daß den Grundbegriffen der Geometrie Objekte der inneren Anschauung entsprechen und daß eine Verneinung eines Axioms der Geometrie sinnvoll überhaupt nicht voll- zogen werden kann. Bei dieser Einstellung wird dann die Anwendbar- keit jener Grundlagen auf die Objekte der Wirklichkeit zum Problem, wir dürfen wohl hinzufügen: zu demjenigen Problem, aus welchem Kants Auffassung des Raumes erwachsen ist Ein zweites Motiv für die Loslösung der Geometrie von ihrer empirischen Unterlage lieferte die Physik. Nach deren verfeinerter Auffassung von der Natur der festen Körper und des Lichtes gibt es keine Naturobjekte, welche in ihren Eigenschaften den Grundbegriffen der euklidischen Geometrie genau entsprechen. Der feste Körper ist nicht starr, und der Lichtstrahl verkörpert nicht streng die gerade Linie, ja überhaupt kein eindimensionales Gebilde. Nach der modernen Wissenschaft entspricht die Geometrie allein in Strenge überhaupt keinen Erfahrungen, sondern nur die Geometrie zusammen mit der Mechanik, Optik usw. Da überdies die Geometrie der Physik voran- gehen muß, indem die Gesetze der letzteren ohne die entere nicht ausgesprochen werden können, so erscheint die Geometrie als eine jeder Erfahrung und jeder Erfahrungswissenschaft logisch vorangehende Wissenschaft. So kam es, daß nicht nur den Mathematikern und Philosophen, sondern auch den Physikern am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Grundlage der euklidischen Geometrie als etwas absolut Unverrückbares erschien. Man kann hinzufügen, daß sich die Situation dem Physiker des ganzen neunzehnten Jahrhunderts, wenn er sein Augenmerk nicht gerade auf die Erkenntnistheorie richtete, noch einfacher, schematischer und starrer darstellte. Sein unbewußt vertretener Standpunkt entsprach den beiden Sätzen: Die Begriffe und Grundsätze der euklidischen Geometrie sind evident. Bei Wahrung gewisser Kautelen realisieren mit Marken versehene feste Körper den geometrischen Begriff der Strecke, Lichtstrahlen denjenigen der geraden Linie. Die Überwindung dieser Situation war ein hartes Stück Arbeit und
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