D O C . 4 5 5 T R A V E L D I A R Y 6 9 7 Dann kommt dafür eine sehr schöne lange Heimreise. Ich kann mir ein regelmäs- siges, stilles Leben kaum mehr vorstellen, soviel Unruhe und Wechsel liegen hinter mir. Wie werden sich unsere Papierhelden freuen, dass sie dem Michel den Hin- denburg aufgeschwatzt haben.[86] Dem deutschen Gesandten in Montevideo wars peinlich, und die Uruguayer machten sich über die Deutschen lustig: Die Nation, der man mit dem Stock die Klugheit ausgetrieben hat. 4. Ankunft in Rio bei Sonnenuntergang und prächtigem Wetter. Granitfels-In- seln von phantastischen Formen sind vorgelagert. Feuchtigkeit gibt geheimnisvolle Wirkung. Schiffsarzt erzählt von zwei Erlebnissen über Telepathie (Er träumt, von Bauer vom Lande abgeholt zu werden zu 17 jähr. Tochter wegen Geschwulst in Achselhöhle, die aufgeschnitten werden muss. Hat sich nächsten Tag genau be- wahrheitet.) Er erzählt von zwei anderen Fällen, die ihm selbst passiert sein sollen. Gebildeter und nüchterner Mann. Zeigt mir auch Notiz über Pariser Experimente über Bakteriophagen, die ich aber bestimmt für falsch interpretiert halte.[87] Von Hotelmenschen im Hafen abgeholt und von Prof. und Juden am Quai erwartet.[88] Machen alle tropisch aufgeweichten Eindruck. Der Europäer braucht grösseren Stoffwechsel-Anreiz als diese ewig feuchtwarme Atmosphäre bietet. Was hilft da Naturschönheit und Reichtum? Ich glaube, dass das Leben eines euro- päischen Arbeitssklaven immer noch reicher ist, vor allem weniger traumhaft und verschwommen. Anpassung wohl nur unter Preisgabe der Regsamkeit möglich. 5. Spaziergang in die Stadt mit Kohn. Typus Gschaftlhuber. Mittag mit dessen Frau und deren Gesellschafterin (?) im Hotel.[89] Die Frauen nett und luftig. Nach- mittags Besuch & Einladung einiger deutscher Kaufleute. Darauf mit Professoren nach „Zuckerhut“. Schwindelnde Fahrt über wildem Wald an Drahtseil. Oben prächtiges Wechselspiel von Nebel und Sonne. Abends Begrüssung von jüdischen Vereinen. Dann nächtliche Autofahrt mit dem sehr sympathischen, klugen und fei- nen Rabbiner Raffalovich.[90] 6. Spaziergang mit Silvamello in oberen Stadtteil. Kluger feiner Mensch, der mich in die kleinen Intriguen der Fakultät einführt. Die Sprache zieht hier mehr als die Beobachtung. Mittag in besserer Hafenkneipe. Scharfes Fischgericht.[91] Nach- mittags Besuch bei Präsident, Unterrichtsminister, Bürgermeister. Um 4½ erster Vortrag in Ing. Klub in überfülltem Saal bei Strassenlärm mit offenen Fenstern. Schon rein akustisch Verständigung unmöglich. Wenig wissenschaftlicher Sinn.[92] Bin da so eine Art weisser Elefant für die andern, sie für mich Affen. Abends allein im Hotel auf meinem Zimmer geniesse nakt Blick auf die Bucht mit zahllosen grü- nen, teils nackten Felsinseln bei Mondschein. 7) Besuch im naturhist. Museum Tiere und Anthropol. Hauptsache Schönheit der Wirbelsäule einer Schlange als Konstruktion. Kultur der Indianer. verkleinerte Mumien, Giftpfeile. Herrlicher Garten vor Museum. Statistik der Rassenmischung. [p. 35] [p. 36] [p. 37] [p. 38]