6 5 4 D O C U M E N T 4 5 7 M A R C H 1 9 2 9 457. To Menachem Ussishkin[1] [Berlin,] 19. III. 29. Lieber Herr Ussischkin! Ich kannte Sie schon als den unbeugsamen charakterstarken, stiernackigen Füh- rer unseres sonst so anpassungs-gewohnten Volkes.[2] Aber ich wusste nicht, dass Sie mit solcher Kraft auch so viel Zartheit und poetischen Schwung zu verbinden vermögen, wie Ihr Brief zeigt.[3] Neben diesem verblasst nämlich alles, was die Menschen mir sagten, und das waren viele und weiss Gott nicht die gewöhnlich- sten! So meisterhaft es nun gesagt war, zu so geringem Teil war es in Wahrheit ver- dient. Es mag sein, dass mein Verhalten Wirkung auf Juden und andere gehabt hat, aber es lag kein Verdienst darin. Ich wurde 35 Jahre alt, sozusagen ohne zu wissen, dass ich ein Jude war.[4] Nur rückschauend sehe ich, dass—obwohl ich in einer ganz christlichen Umgebung lebte und mit einer griechisch-katholischen Frau ver- heiratet war—meine intimsten Freunde Juden waren.[5] Es war der Berliner Ge- gen?Umwelt vorbehalten, mich über meine Zugehörigkeit zum jüdischen Volke aufzuklären [6] ist es ein Wunder, dass ich ihre Lehre verstand? Auch tauchten überzeugte und kluge Männer auf, die mich in dieser Wandlung unterstützten, be- sonders Weizmann und Blumenfeld.[7] Hierauf leistete ich eigentlich nichts für die jüdische Sache, als dass ich mich aufrichtigen und frohen Sinnes vor allen zu ihr bekannte, wie es mir ums Herz war und ist und zeitlebens sein wird. Also bedient Euch meiner, wie es zum Frommen der gemeinsamen Sache eben möglich ist (abernicht zu viel, damit die Wirksamkeit nicht verloren gehe!) ferner aber wis- set, dass ich mir des Umstandes wohl bewusst bin, dass ich hierbei mehr Sache als Person bin.— Wie dem auch sei, nehmen Sie meinen herzlichen Dank entgegen und auch die herzlichsten Grüsse und Wünsche. Ihr A. Einstein.
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