2 0 0 D O C U M E N T 1 0 4 D E C E M B E R 1 9 2 7 In meinem Gedächtnis steigen dumpf aus Deinem Mund gehörte Einwände auf wie: instinktiv fühle man, nicht das viehische Leben, doch die Wissenschaft sei Endzweck, und die Menschen, die einem den mächtigsten Eindruck hinterlassen, seien stets die geistigen. Ich hatte auch schon derlei Gefühle, aber es ist lächerlich, sie als bindend zu betrachten. Es ist kein Wunder, daß der Geist, wenn man ihn tüchtig hinaufgefüttert hat, schließlich täglich seinen Fraß verlangt. Was die Wis- senschaft betrifft, so kann ich mir unschwer vorstellen, daß sie eines Tages das ganze Dasein auf einige Grundbegriffe logisch zurückführen könnte. Mit diesem Stand wäre aber für das Leben ganz und gar nichts gewonnen: er bietet einige Nachteile und gar keine Vorteile. Das Wesentliche ist allein das wissenschaftliche Suchen selber und dieses ist ein ärmlicher Ersatz für das Leben, mag unser verdreh- tes Gefühl darüber sagen was immer es will. Wenn uns das Leben an und für sich nicht mehr reizt, so gibt das nur den Grad unsrer Degeneration an. Ich habe längst gesagt: Für den, der nach dem Sinn des Lebens sucht, hat das Leben seinen Sinn bereits verloren. Ein tüchtiges Tier wird durch sein Leben sicher ganz und gar be- friedigt. Du mußt bei „Tier“ nicht unbedingt an ein Hausschwein denken. Ein Hausschwein ist ein ekles Tier. Denk an einen Adler. Die Ameise ist schon nicht so vorbildlich. Sie ist zu verstaatlicht. Immerhin ist ihr Staat besser als der menschli- che eingerichtet: Bei ihnen zeugen die durch Arbeit erschöpften Individuen nicht gleichzeitig Nachkommen, an denen sie dann Mangel an Lebenskraft kopfschüt- telnd kritisieren. (Moral mit persönlicher Nutzanwendung.) Der Grund, [warum] die meisten Moralen zu schiefem Resultat führen, scheint mir zu sein: daß sie den leicht zu konstatierenden Fortschritt des Geistigen für gott- gewollt, einzigartig und sieghaft ansehen, statt zu sagen: Er ist einer der zahlrei- chen Wege, die ins Leere führen, und: Ob es überhaupt Wege, die nicht ins Leere führen, gibt, wissen wir nicht. Ich verbleibe mit besten Grüßen und der Hoffnung, Dich restlos bekehrt zu ha- ben, (woran höchstens die wahrscheinlich unklare Formulierung hindern könnte) Dein Teddy ALS. [144 488]. Obscured. [1] Year dated by the fact that Doc. 108 is the reply to this document. [2] Mileva Einstein-Marić. [3] Hans Albert Einstein and his wife Frieda Einstein-Knecht. [4] Einstein had used this phrase to define Eduard’s support for eudaimonism (see Einstein to Edu- ard Einstein, 12 December 1926 [Vol. 15, Doc. 433]). [5] A reference to Nietzsche’s assertions on the origins of the natural sciences not being in nature, but rather in the will to truth and within the related concepts of morality, faith, and God. For Nietzsche, scientific hypotheses inevitably lay in a moral ground assigned value by humans (see Nietzsche 1927, Aphorism 344, pp. 256–259). [6] Wedekind (1864–1918) was a German playwright. [7] Hofmannsthal 1927 and Mann 1925.