D O C . 3 9 5 O L D & N E W I D E A S O N F I E L D T H E O R Y 5 8 5 physikalisch bevorzugten Bewegungs-Zustände gibt, dass also nicht nur der Geschwindigkeit sondern auch der Beschleunigung keine absolute Bedeutung zukomme. Diese Theorie machte zunächst eine viel tiefere Modifikation der Auf- fassung von Raum und Zeit notwendig als die spezielle Relativitätstheorie. Hatte nämlich letztere bereits dazu gezwungen, Raum und Zeit zu einem unteilbaren vierdimensionalen Kontinuum zusam[men]zu fassen, so blieb in dieser Theorie doch im Wesentlichen der euklidische Charakter des Kontinuums gewahrt. In der allgemeinen Relativitätstheorie musste diese Hypothese über den Euklidischen Charakter unseres Raum-Zeit-Kontinuums aufgegeben werden und diesem die Struktur eines sogenannten (allgemeinen) Riemannschen Raumes zugeschrieben werden. Bevor wir diese Begriffe dem Verständnis näher zu bringen suchen, wollen wir daran erinnern, was diese Theorie leistete. Sie schuf eine exakte Feldtheorie der Gravitation und brachte sie mit den Mess- Eigenschaften (metrischen Eigenschaften) des Kontinuums in einen völlig be- stimmten Zusammenhang. Die Theorie der Gravitation, welche bis dahin über Newton nicht hinausgewachsen war, wurde damit dem Faradayschen Feldgedan- ke[n] in einer zwingenden Weise—d. h. ohne wesentliche Willkür in der Wahl der Feldgesetze—untergeordnet und gleichzeitig Schwere und Trägheit zu einer Wesens-Einheit verschmolzen. Die Bestätigungen, welche diese Theorie in den letzten Jahren durch Messung der Ablenkung der Lichtstrahlen im Gravitationsfel- de und durch spektroskopische Untersuchungen an Doppelsternen erfahren hat, sind wohl allgemein bekann[t].[2] Was die allgemeine Relativitätstheorie und besonders die neue dritte Stufe der Theorie, die sog. „einheitliche Feld-Theorie“ gegenüber anderen physikalischen Theorien besonders auszeichnet, ist der spekulativ-formalistische Zug, die Schmalheit der Erfahrungsbasis[,] die Kühnheit der theoretischen Konstruktion, das ihr zugrunde liegende Vertrauen in die Einheitlichkeit und die Durchdringbar- keit der Geheimnisse der Naturgesetzlichkeit durch die spekulative Vernunft. Dies ist es, was ihr der realistisch bzw. positivistisch eingestellte Physiker als Schwäche ausgelegt, der spekulativ eingestellte mathematische Geist als besonders anzie- hend, ja faszinierend empfindet. Nicht mit Unrecht hat der geistreiche Erkenntnis- theoretiker Meyerson die geistige Einstellung der Relativitäts-Theoretiker mit derjenigen Descartes’ und sogar Hegels verglichen, ohne indes mit jenem Ver- gleich jenen Tadel zu verbinden, den das Ohr eines Physikers naturgemäss heraus- hören wird.[3] Wie dem auch sein mag, die Erfahrung wird letzten Endes der einzig kompetente Richter sein. Zur Verteidigung der Theorie sei einstweilen nur das Eine gesagt, dass der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis notwendigerweise dahin gehen muss, dass der Gewinn an Einheitlichkeit des Gedankensystems erkauft werden muss durch Erweiterung der Distanz, ja der Kluft zwischen den [p. 13]
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