D O C U M E N T 2 6 8 A P R I L 1 9 2 6 4 4 7 auf dem laufenden zu bleiben, und ich habe manche ältere Arbeiten erst jetzt genau gelesen. Die Schönheit der neuen Quantenmechanik hat mir einen großen Eindruck gemacht, obwohl es mir zuerst rechte Mühe machte, mich entschlossen auf den Standpunkt zu stellen, dass wir das Kausalitätsprinzip fahren lassen sollen, um es von vorneherein durch Statistik zu ersetzen. Aber ich muss sagen, dass ich nun doch auch zu der Überzeugung gekommen bin, dass wir wenigstens in der nächsten Zeit anders nicht weiterkommen können. Vor kurzem habe ich in den „Naturwissenschaften“ eine Notiz von Ihnen ge- lesen,[4] aus der ich sehe, dass es wirklich möglich ist, Versuche über die optische Kohärenz des von verschiedenen Teilen eines Kanalstrahles ausgehenden Lichtes mit Erfolg anzustellen. Das ist höchst interessant, und ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeitern bei diesem ganz fundamentalen Versuch einen baldigen Erfolg. Erlau- ben Sie mir aber, zu der Theorie eine kleine Bemerkung zu machen, auch auf die Gefahr hin, dass ich etwas Ihnen längst bekanntes sage! Was für ein Resultat wäre wohl zu erwarten, wenn die Lichtquelle ruhte, und wenn sich das von Ihnen be- schriebene Gitter dagegen mit Kanalstrahlengeschwindigkeit in seiner Ebene, senkrecht zu den Gitterspalten, bewegte? Man kann sicher sagen: Wenn die von Ih- nen mit G bezeichnete Sammellinse und der Interferenzapparat nicht mitbewegt würden, so müsste man die Kohärenz des von ¢einem Atom² der Lichtquelle aus- gehenden Lichtes feststellen. Also müsste man nach dem Relativitätsprinzip auch bei Ihrem Versuch Kohärenz finden, wenn nur das Gitter ruhte, wenn dagegen die Linse G und der Interferenzapparat mit den Kanalstrahlenteilchen mit gleicher Ge- schwindigkeit mitbewegt würden. Ergäbe sich nun bei dem wirklich anzustellen- den Versuch, wo auch die Linse G und der Interferenzapparat ruht, Inkohärenz, so würde das nach meiner Meinung nur heißen, dass das Licht, das die Lichtquelle nach merklich verschieden[en] Richtungen ausstrahlt, nicht mehr kohärent ist. Das Licht müsste also als eine „Nadelstrahlung“ aus dem Atom nach einer Richtung herausschießen,[4] aber der Nadelstrahl wäre in sich von vorneherein kohärent. Mir scheint, dass in der Tat der neueste Versuch von Bothe den Charakter des Lichtes als „Nadelstrahlung“ beweist.[5] Vielleicht hätte man durch den von Ihnen geplan- ten Versuch die Möglichkeit, etwa indem man die Geschwindigkeit der Kanalstrah- len stark variiert, die Öffnung des dünnen bei einem Elementarprozess aus einem Atom herausschießenden Strahlungskegels zu bestimmen? Am Freitag d. 30. ds. werde ich in Berlin sein, und ich will dann auch zur Sit- zung der physikalischen Gesellschaft kommen. Vielleicht sehe ich Sie bei dieser Gelegenheit und höre Ihre Ansicht zu dem Gegenstand? Mit den besten Grüßen Ihr ergebener Gustav Mie
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